Ein Jahr danach…Wieviel „Normalität“ ist wieder da?

Euphorisch und mit großen Schritten bin ich vor fast genau einem Jahr nach der REHA und dem Krankenstand wieder in die vermeintlich „normale“ Welt zurück gekehrt. Wohlweislich mit dem Wissen, dass es vermutlich nie wieder so sein wird wie früher. Was in vielen Dingen ja auch ganz gut ist. J

Ich brauchte jedoch ein Jahr um zu erkennen wie sich die Welt für mich nun wirklich verändert hat. Was ist wieder wie früher? Wieviel „Normalität“ ist wieder da? Oder anders gefragt: Was hat sich verändert? Was ist nicht mehr „Normal“? (Ich finde das Wort „normal“ übrigens schrecklich, aber ich habe noch kein anderes Wort gefunden um es zu ersetzen.)

Und ja, es hat sich sehr vieles verändert. Nach außen hin bin ich für die meisten wohl wieder „ganz die Alte“. Diejenigen, die mich besser kennen, würden vermutlich sagen: „Sie ist in manchen Dingen anders geworden.“

Einige geben mir den Rat: „Mensch Evelyn, vergiss das Krebszeug doch einfach mal!“  Hmmmm, danke für den tollen Rat! Wann soll ich es vergessen? Wenn ich morgens aufstehe und gleich schon mal die Ungleichheit meiner Brüste spüre? Oder wenn ich ins Bad gehe und mich dusche, die Narbe einöle und mich anziehe? Vielleicht sollte ich ja die tägliche Hormon-Tablette vergessen, die ich morgens immer einnehmen muss? Möglicherweise soll ich es bei der Büroarbeit vergessen, wo ich nach ca. einer Stunde Computerarbeit meinen rechten Arm und die Achsel sehr deutlich spüre? Ich könnte es natürlich auch beim Sport vergessen, wenn ich mir den „sexy“ Sport-BH umschnalle? Beim Tanzen oder Yoga spüre ich ganz besonders die körperlichen Grenzen – mein Arm geht einfach nur noch bis dahin und nicht mehr weiter. Dann kommt schon wieder der Abend, wo ich mich vor dem Spiegel bettfertig mache und die OP-Folgen leider nicht übersehen kann. Nicht mal beim Einschlafen kann ich es vergessen, denn auch da brauche ich eine Weile um meine beste Einschlafposition zu finden, sodass nichts zwickt. Tja, und dann kommt die Nacht, in der ich mehrmals aufwache und mich rumwälze wegen der Medis. Also, wann genau soll ich das „Krebszeug“ vergessen? Das geht nicht. Ich kann mich nur damit arrangieren.

Rein körperlich ist es also sehr schwer wieder „Normalität“ zu finden. Ganz zu schweigen vom ruhelosen Geist….Über das immer mal wiederkehrende Kopfkino habe ich ja schon ausführlich berichtet….

Aber es haben sich noch andere Dinge geändert. Z. B. wurde ich kürzlich darüber belehrt, dass meine Reisestornoversicherung bei meinem Krebs natürlich nicht mehr greift. Das hat mich mehr getroffen, als man meinen möchte. Es passiert also doch – auch bei mir: Stigmatisierung! Ich bekam das nun mal wirklich zu spüren. Und dabei war das ja nur eine Kleinigkeit. Ich bin gespannt was sonst noch so auf mich zukommen wird. Welche Folgen wird meine Krebserkrankung noch haben?

 „Normalität“ ist vorbei. Ich kann mich einfügen, mitfeiern, mitlachen, den Haushalt schmeißen, arbeiten gehen, mich um meine Familie kümmern…… alles ganz normal – von außen betrachtet.....von der anderen Seite der Glaswand betrachtet.

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Anita (Mittwoch, 25 März 2015 12:48)

    Wow... genau auf den Punkt gebracht - super formuliert!!
    Wer auch immer dir diesen "super Rat" gebeben hat, hat absolut keine Ahnung von deiner / unserer Situation!
    Um der ganzen Sache dennoch was positives abzugewinnen: mich persönlich freuts natürlich, dass ich dich kennengelernt habe... ;)

  • #2

    Evelyn (Mittwoch, 25 März 2015 13:07)

    Danke Anita. Ich freue mich auch dich kennengelernt zu haben! :-)
    Tja, dieser Rat kam von mehreren Seiten. Aber da bin ich nicht bös, denn es ist ja wirklich gut gemeint. Und für "Nicht"-Betroffene schwer nachzuvollziehen.
    Küsschen, Evelyn

  • #3

    Heike (Freitag, 01 Mai 2015 09:50)

    Liebe Evelyn, deine Worte sind klar und ohne Groll. Es ist schön mal jemanden zu lesen der nicht mit seinem Schicksal hadert. Meine Geschichte ist deiner recht ähnlich. Meine Diagnose bekam ich am 30.10.2012 mit 41 Jahren. Mein Sohn war 13 mit meinem Mann lebte ich da schon seit 23 Jahren zusammen. Mein Tumor war hoch aggressiv, daher wurde für mich das "All-Inclusive-Paket" gebucht mit OP, Chemo, Bestrahlung etc. Inzwischen bin ich beidseitig amputiert ohne Wiederaufbau und bin bereits 10 Monate nach der Diagnose wieder im Arbeitsalltag angekommen. Ich war nie zornig sondern eher pragmatisch. Die Frage WARUM GERADE ICH erschloss sich mir nicht, WARUM GERADE ICH NICHT leuchtet mir eher ein. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, falle in keine Risikogruppe. Es ist OK. Ich hatte einfach nur Pech. Mein Sohn ist in der Zeit erwachsen und selbstständig geworden, meinen Mann habe ich kurz vor der Chemo geheiratet. Beiden bin ich unendlich dankbar für den Rückhalt. Bereits 1 Jahr vor der Diagnose wusste ich dass etwas nicht stimmt, nur war es eben noch nicht greifbar, es war nur mein Bauchgefühl und das Herz. Ich sehe mich nicht als alte Frau, das tat ich noch nie. Aber die Tatsache wirft auch keinen Zorn in mir auf. Das Leben ist schön, jeden Tag, jetzt.
    Die Vorwürfe die man manchmal anderen macht, dass ein Patient eine Chemo hatte und der andere nicht kann ich hin und wieder nachvollziehen. An schlechten Tagen sucht man Schuldige, teilt die Welt in Gut und Böse. Bei diesen Gedanken erwische ich mich auch, zwar selten aber es kommt vor. Andererseits geht das auch mit dem Gedanken einher, wäre ich zufriedener und besser dran ohne Chemo? Für mich ein klares nein. Ich war noch ganz am Anfang "nur" zwei Wächter betroffen, die Amputation erfolgte wegen einer Vorstufe und auf meinen Wunsch. Alle Spätfolgen die ich habe kommen im Wesentlichen von der Chemo. Die werden auch bleiben. Aber ich wäre wesentlich nervöser mit dem Gedanken, dass da noch irgendwo kleine Zellen in mir auf Wanderschaft sind. Mit Chemo habe ich wenigstens die Chance dass diese "gefunden" wurden. Liebe Grüße

  • #4

    Evelyn (Freitag, 01 Mai 2015 16:31)

    Liebe Heike. Vielen Dank für dein schönes Kommentar und deine Offenheit. Ich freue mich, dass es dir offenbar gut geht und, dass du es schaffst, dir eine solch positive Einstellung zu bewahren.
    Das ist nicht immer so leicht.
    Viele liebe Grüße
    Evelyn

  • #5

    Yvonne (Mittwoch, 01 Juli 2015 12:28)

    Hallo Heike,
    dein Blog ist sehr schön geschrieben . Ich habe meine Diagnose im Sept. 2009( ich war damals 38J.) gekommen und habe mir zu der Zeit aus meinem Engsten Familienkreis auch so manch wundersamen Spruch an hören müssen . Das hier alles auf zu schreiben sprengt den Rahmen und ich muss gestehen das es mir auch heute noch sehr zu schaffen macht darüber zu reden oder zu schreiben . Ich kann nur soviel dazu sagen das ich den Kontakt zu diesem Familienkreis abgebrochen habe und mir geht es seit her Besser . Ich hatte leider das Pech nach meinem Krebs auch noch eine Armvenenthrombose zu bekommen die vom Port her kam und ein halbes Jahr später dann auch noch einen Hinterwandinfarkt . Ich habe bis heute mit einigen folgen des Krebses und den Folgeerkrankungen zukämpfen , Aber ich kämpfe weiter. Und genieße jeden Tag an dem es mir gut geht und ich glücklich bin ( lasse aber auch die nicht so guten Tage einfach da sein).
    ich habe als Therapie für mich das kreativ sein wieder entdeckt ...ich versuche alten und gebrauchten möbeln ein neues Leben einzuhauchen :)bin auch auf Fb zu finden falls Interesse besteht mal meine Therapie zusehen ist https://www.facebook.com/KunterbunteKreativwelt?ref=aymt_homepage_panel .
    So das solls erstmal gewesen sein ...ich wünsche dir einen schönen sonnigen Tag und alles liebe . Liebe Grüße Yvonne

  • #6

    Evelyn (Mittwoch, 01 Juli 2015 14:08)

    Liebe Yvonne
    Mein Name ist nicht Heike, sondern Evelyn....falls du wirklich diesen Blog gemeint hast.
    Danke für die Platzierung deines FB links ;-)
    Auch ich bin auf FB zu finden unter:
    https://www.facebook.com/brustkrebstanz
    Alles Gute dir,
    Evelyn

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